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Chroniken des Totalitarismus 5 — Wenn alles verrückt wird...

Dernière mise à jour : 10 nov. 2021

Traduction allemande de l'article "Chroniques du totalitarisme 5 - Quand tout devient fou..."


"Chroniques du totalitarisme 5 – Quand tout devient fou..."

ist der Titel eines erstaunlichen Textes,

den die französische Autorin Ariane Bilheran am 16.08.2021 auf Ihrer Webseite veröffentlicht hat.


Sie ist u.a. Doktor der Psychopathologie und auf die Untersuchung von Manipulation, Paranoia, Perversion, Belästigung und Totalitarismus spezialisiert. Darin stellt sie dar, wie ein völlig unlogisches Narrativ zur Propaganda und dann zur Realität und später sogar als vernünftiges Prinzip akzeptiert wird.


Chroniken des Totalitarismus – Wenn alles verrückt wird...


In diesem Sommer 2021 hatte ich die Gelegenheit, nach Frankreich zu reisen, ein Land, in dem ich seit mehreren Jahren nicht mehr gewesen war. Es war für mich eine Gelegenheit, einen ernsthaften Verfall der menschlichen Beziehungen und Werte zu beobachten, ein fruchtbarer Boden für die laufende paranoide Dekompensation.

Vielleicht sollte ich zunächst für den Leser, der mit dieser Fachterminologie nicht vertraut ist, klar definieren, was eine "Dekompensation" ist. Wahnsinn im wörtlichen Sinne ist eine Psychose (gekennzeichnet durch die Verleugnung der Realität: die Realität, wie sie existiert, wird abgelehnt), die ein Delirium hervorruft (das im Diskurs eine "Neo-Realität" hervorbringt, d.h. eine mehr oder weniger inkohärente Erzählung, die von einer anderen als der existierenden Realität berichtet). Meistens ist der Wahnsinn zu erkennen, denn die Erzählung verliert sich in einer Zeit und einem Raum, die nicht mit der Erfahrung übereinstimmen, und bildet ein Mosaik aus nebeneinander stehenden grammatikalischen Sätzen ohne Kopf und Schwanz. Neologismen (neue Wörter) gibt es in Hülle und Fülle, und selbst Uneingeweihte sind in der Lage, einen Wahnausbruch zu erkennen.

Wenn Marion in einem manischen Delirium ihr Transistorradio mit ihrem Hund Medor verwechselt und mit ersterem an der Leine durch Marseille spaziert und mit ihm redet, damit er sich nicht an den Auspuffen der Autos verbrennt, ist es für den Uneingeweihten klar, dass "etwas nicht stimmt".


Die paranoide Psychose ist jedoch durch eine Wahnvorstellung gekennzeichnet, die nicht leicht zu erkennen ist, weil sie der Vernunft ähnelt. Sie nimmt deren Kleidung, deren Geruch, deren Farbe, deren Geschmack an, aber sie ist nicht rational und noch weniger allgemein einsichtig. Der Verfolgungswahn wurde – ohne sich um das Prinzip des Nicht-Widerspruchs zu kümmern – zu Beginn des 20. Jahrhunderts von den Psychiatern Sérieux und Capgras als "Vernunftwahn" bezeichnet. Die Wirklichkeit wird umgeschrieben, aber aus der Perspektive der Ideologie: Man tut das Gegenteil der Ideale, auf die man sich beruft, und vor allem verfolgt man die Unschuldigen, die man als schuldig bezeichnet hat, im Namen des "Gemeinwohls".

Paranoia funktioniert über Projektion: Man beschuldigt den anderen der eigenen Schuld, besonders die unschuldigen Profile, die somit "jungfräulich" sind und zusätzliche Schuld empfangen. "Wenn man seinen Hund töten will, beschuldigt man ihn, Tollwut zu haben".



Im paranoiden Wahn ergibt nichts mehr einen Sinn, aber alles tut so, als hätte einen.


Die paranoide Psychose behauptet, die Kontrolle über das Bewußtsein zu haben, indem sie ein Mobbing von Gruppen inszeniert, die sie in "gute" und "böse" Menschen einteilt. Die Bösen sind diejenigen, die sich der Gängelung widersetzen oder sich weigern, in die neue wahnhafte, ideologische Realität einzutreten, die von der Paranoia vorgeschlagen wird. Die Paranoia beherrscht die Prozeduren der Sekten meisterhaft.

Die Dekompensation ist der Moment, in dem der Paranoiker, sei es ein Einzelner oder eine Gruppe (denn dieser "Denkwahn" ist ansteckend), sein Delirium so steigert, dass es in Handeln umschlägt. Denn, wenn das Delirium eine neue Realität schafft, um die alte zu ersetzen, muss – unter den Bedingungen der Paranoia – diese neue Realität geschehen. Der Diskurs ist ein performatives Orakel: Er allein erzeugt die Wirklichkeit. Es gibt keine Reflexivität mit der Erfahrung mehr, um einen Weg der Wahrheit zu schaffen. Das wahnhafte Wort ist allmächtig und will dies beweisen, indem es die Realität mit dem Siegel der Ideologie versieht.



Der Diskurs ist nicht länger ein Reflex der Erfahrung, sondern die Erfahrung muss sich dem Diskurs anpassen.


Dies ist eine grundlegende Negation dessen, was Psychoanalytiker das Realitätsprinzip nennen. In einem Artikel von Hannah Arendt mit dem Titel "Die Saat der faschistischen Internationale" ** stellt die Philosophin fest:


"Es ist ein zu wenig beachteter Aspekt der faschistischen Propaganda, dass sie sich nicht mit der Lüge begnügte, sondern bewusst plante, ihre Lügen in die Realität umzusetzen. So erkannte Das Schwarze Korps einige Jahre vor Ausbruch des Krieges, dass das Ausland den Nazis nicht wirklich glauben würde, wenn sie behaupteten, alle Juden seien Bettler und Vagabunden, die nur als Schmarotzer von der Wirtschaft anderer Nationen leben könnten; aber, so prophezeite es, die ausländische öffentliche Meinung bekäme innerhalb weniger Jahre die Gelegenheit, sich davon zu überzeugen, wenn die deutschen Juden wie ein Haufen von Bettlern verjagt würden."

Niemand war auf diese Art der Erfindung einer lügenhaften Realität vorbereitet. Das wesentliche Merkmal der faschistischen Propaganda war noch nie die Lüge, denn die Lüge ist ein ganz gewöhnliches Merkmal der Propaganda, überall und zu allen Zeiten.

Was diese Propaganda im wesentlichen ausnutzte, war das alte westliche Vorurteil, das die Realität mit der Wahrheit verwechselt, und damit aus "wahr" etwas machte, das nur als Lüge gegeben ist. Deshalb ist jedes Argument gegen die Faschisten – die so genannte Gegenpropaganda – so zutiefst sinnlos: Es ist, als würde man mit einem potenziellen Mörder darüber debattieren, ob sein künftiges Opfer lebt oder tot ist, und dabei völlig vergessen, dass der Mensch zum Töten fähig ist und dass der Mörder, indem er die betreffende Person tötet, jederzeit die Richtigkeit seiner Behauptung beweisen kann.

In aller Deutlichkeit: Der paranoide Wahn verfolgt, und zwar im Namen dessen, was er prophezeit. Und was er prophezeit, lässt er einfach wahr werden.

"Es wird viele Tote geben", sagt er. Und tatsächlich, durch das Verbot von Behandlungen, die Patienten heilen, ist es sehr wahrscheinlich, dass es zu diesen Todesfällen kommen wird. Darüber hinaus rechtfertigt das ideologische Narrativ die Verfolgung als Notwehr. Bei Paranoia ist es erlaubt zu töten, weil es in Selbstverteidigung war!



Mord ist gerechtfertigt und vertretbar, da Verstöße von nun an im Namen des Gemeinwohls erlaubt sind.


Der Moment der paranoiden Dekompensation, d.h. der Entfesselung des Deliriums, ist äußerst heftig. Diejenigen, die mit Psychotikern und insbesondere mit Paranoikern arbeiten, wissen das sehr gut. Wahnhafte Ausbrüche verlaufen in Phasen, mit Flauten. So können wir die Verfolgungen der Nazis analysieren: Zwischen zwei Razzien gab es Lockerungen der Maßnahmen. Es flammte auf, beruhigte sich wieder und flammte dann wieder auf, genau wie bei einem wahnhaften Ausbruch.

So wurden beispielsweise am 16. April 1944 die 220.000 Budapester Juden (die 20% der Stadt ausmachten) gezwungen, in die 1948 "Häuser mit dem gelben Stern" zu ziehen und durften nur drei Stunden am Tag zum Einkaufen, Baden und für Arztbesuche ins Freie gehen. Es folgten die Beschlagnahme von Kunstwerken und Enteignungen, das Verbot, geistige Berufe auszuüben und die Streichung von 500.000 Bänden jüdischer Autoren.

Am 1. Mai 1944 wurde der Erlass vom 22. April umgesetzt, der niedrigere Lebensmittelrationen für die Juden vorsah. Zwischen dem 15. Mai und dem 9. Juli 1944 organisierte Eichmann zusammen mit anderen ungarischen Entscheidungsträgern die Deportation von 437.402 Menschen nach Auschwitz-Birkenau. Doch im Juli wurde die Entscheidung, alle Juden aus Ungarn zu deportieren, abrupt gestoppt. Gleichzeitig wurde die Enge etwas gelockert: Die Budapester Juden durften ihre Wohnungen für sechs Stunden am Tag verlassen, vor allem aber durften sie ab Ende August 1944 an bestimmten jüdischen Festen teilnehmen und arbeiten. Die Deportationen wurden im letzten Quartal des Jahres 1944 wieder aufgenommen.


Es ist klar, dass dies in Wellen geschieht, die kollektiven Momenten von Wahnausbrüchen entsprechen, die manchmal wieder abklingen. Und diese Wellen bauen sich zu einem Crescendo auf: Entweder wird die kollektive Paranoia durch den Krieg besiegt, oder sie verzehrt sich in einer Logik der Selbstzerstörung (Hannah Arendt bemerkte in demselben Artikel, dass die Nazis sich nicht um die Zerstörung Deutschlands scherten, das sie in der herrschenden Ideologie doch so verherrlicht hatten). Vielleicht stößt sie aber auf genügend Widerstand? Wir stehen heute immer noch am Scheideweg, und die kommenden Monate werden entscheidend sein. Es ist notwendig und ausreichend, dass die Massen aufhören, an die verlogene Ideologie zu glauben.

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